22. September, 2017

“Lex Booking.com” und die Feindseligkeit von Schweizer Hoteliers

“Lex Booking.com” – So wird die neue, kürzlich vom Schweizer Parlament verabschiedete Gesetzesänderung genannt, die den Heimatschutz sichern soll. Diesem Entscheid war eine grosse Lobbyaktion der Hotels vorausgegangen. Nun wird ein Gesetz entstehen, das es den Hotels erlaubt, auf ihrer Webseite günstigere Angebote anzubieten, als auf Buchungsplattformen wie Booking.com vorzufinden sind. Man spricht von einem Gewinn auf Seiten der Hoteliers. Kann tatsächlich von einem Gewinn gesprochen werden, wenn die Perspektive der Gäste einbezogen wird?

Es ist erschreckend, wie die Lobbyisten mithilfe massiver Zahlungen die Regierung zurück ins 20. Jahrhundert drängen. Wie armselig ist das denn! Die Schweizer Politik scheint nicht begriffen zu haben, dass sich die Welt verändert hat.
Ich stimme natürlich zu, dass Booking.com eine enorme Marktmacht vorausgeht. Und es ist eine Tatsache, dass solche Marktmacht meist gegenüber schwächeren Mitspielern missbraucht wird.

Das ist jedoch nicht die echte Herausforderung. Wir wissen bereits, dass Schweizer Hotels nicht mehr der Weltspitze angehören. Der lokale Hauch fehlt, da der Grossteil der Belegschaft aus dem Ausland stammt. Auch liegen die Schweizer Preise im Vergleich zu anderen Ferienorten in Europa überdurchschnittlich hoch. Die meisten Webseiten werden nicht laufend auf dem neuesten Stand gehalten. Langwierige, gar peinliche Buchungsprozesse sind keine Seltenheit.

nationalratssaal DSC3000 1

Wie steht es um das Kundenerlebnis?

Werfen wir einen Blick auf den Customer Journey eines potentiellen Hotelgastes: Zuerst wird dieser online nach Hotels stöbern. In der Suchmaschine wird beispielsweise “Hotel Interlaken” oder “Hotel Montreux” eingegeben. Das Business Modell von Booking sieht vor, bei den (bezahlten) Google Resultaten stets als Nummer eins angezeigt zu werden. Dafür wird eine beträchtliche Summe ausgegeben, wodurch der Grossteil der Menschen automatisch auf der Webseite von Booking landet.

Wenn man bedenkt, dass Booking.com seine Dienstleistungen kontinuierlich erweitert und nebst dem Anbieten von fairen Preisen auch die Hotelsuche verbessert und Hotelvergleiche eingeführt hat, ist das ausgezeichnet. Wohlgemerkt stecken hinter all dem intelligente Köpfe, die ausgefeilte Algorithmen und Big Data entwickelt haben, wodurch jedem Touristen eine individuelle Reiseerfahrung geboten wird. Die Ergebnisse sind übersichtliche und präzise Suchresultate sowie vorteilhafte Preise.

Und was passiert dann? Booking.com bietet den Gästen ein Login, das vieles vereinfacht. Weg von armseligen Booking-Prozessen, die so oft auf Hotelwebseiten zu finden sind, hin zu einer reibungslosen und stressfreien Booking-Erfahrung für den Gast. Wenn Sie dazu meine ehrliche Meinung hören wollen: Die Hoteliers sollten sich bei der Buchungsplattform Booking bedanken, ganz besonders dafür, dass Booking sich eines Bereichs angenommen hat, der von der Hotelbranche sträflich vernachlässigt wurde. Doch statt Dankbarkeit wählen sie die Defensive.

Das Beste aus beiden Welten

Wären die Hoteliers so klug, diese Hilfe wertzuschätzen, könnten sie sich viel Zeit und Geld ersparen. Dieses könnten sie beispielsweise in die Gestaltung eines einmaligen Online-Erlebnisses investieren, das heute bedauerlicherweise vielen Schweizer Hotels fehlt.

Die Schweiz mag die schönsten Landschaften und ein “dort musst du gewesen sein” Image haben. Doch sind wir uns bewusst, dass weder die Schweizer Preise noch unsere heutige Gastfreundschaft einen Oskar verdienen – an dieser Stelle weise ich ausdrücklich auf Ausnahmen hin, ich möchte hier nicht alle Gastgeber in einen Topf werfen!

Deshalb sollten Hoteliers ihre Energie eher dafür aufwenden, Plattformen wie Booking.com oder Airbnb mit in ihr Business Modell zu integrieren. Viele Branchen wurden in den letzten Jahren durchgerüttelt und weitere werden folgen.

tamara menzi 275950

Diese Schlacht ist vielleicht gewonnen, der Krieg aber noch lange nicht

Statt sich über den in der Einleitung erwähnten Gewinn der Hotelbranche zu freuen, sollten sich Hoteliers bewusst sein, dass die neue Gesetzesänderung zu einer Verschlechterung des Gästeservices führen wird, denn dadurch wird der geschmeidige Ablauf bei einer Hotel-Reservation gestört. Besser sollten sich Hoteliers Gedanken darüber machen, wie sie ihre Gäste unterstützen und entlasten können.

Es scheint nicht der ideale Weg, die durch Booking.com gewonnenen Gäste darum zu bitten, bei ihrer nächsten Buchung statt die Buchungsplattform die eigene Hotelwebseite zu konsultieren. Man bedenke nur die umständlichen Reservations- und Zahlungsverfahren, die den Gästen auf Hotelwebseiten geboten werden. Bessere Verfahren und neueste Technologie werden dabei komplett ignoriert.

Menschen haben sich den Umgang mit Plattformen, hinter denen Kosten in Millionenhöhe stecken, bereits angewöhnt. Ich spreche von Riesen wie Booking.com, Uber und ähnlichen Beispielen. Und das sollte der kleine Wermutstropfen wert sein, dass dort stets die niedrigsten Preise aufgeführt sind. Nebenbei gesagt, kann dieser Betrag sogar gleich hoch sein wie der auf der ursprünglichen Hotelwebseite. Lassen wir den Gästen also weiterhin die Wahl, wo sie ihre nächsten Ferien buchen wollen.

Einmaliges Hotelerlebnis – wieso es sich zu kämpfen lohnt

Stellen wir uns vor, ein Gast wird durch Booking.com auf ein bestimmtes Hotel aufmerksam. Der Gast erhält grandiosen Service und damit ein unvergessliches Erlebnis. Keine Frage, der Gast wird bei seiner nächsten Buchung auf das gleiche Hotel zurückgreifen. Das Hotel wird beim zweiten Besuch bereits alles Administrative erledigt haben und somit keine weiteren Kosten aufwenden müssen.

Booking.com wird nicht mehr notwendig sein, da der Gast bereits registriert ist. Er ist schon fast zu einem Teil der Familie des Hotels geworden – das hat ein einmaliges Erlebnis zur Folge, bei dem Booking.com nicht mithalten kann und das das Ziel von Schweizer Qualität sein muss.

 

Doch bis das alle Schweizer Hotels verstanden haben, fürchte ich um einen langen und steinigen Weg.

 

Martin Künzi
COO

Dieser Artikel wurde von Martin Kuenzi
am 22. September, 2017
in #Sonstiges veröffentlicht
Newsletter
Erfahren Sie aus erster Hand das Neueste von Enigma. News, Projekte, Blogartikel und Innovationen.
01
360°-Agentur
02
Individuelle Strategien