11. November, 2016

Präsident Trump: Altes Spiel, neue Regeln.

Europa ist so ungläubig aufgewacht, wie viele Amerikaner fassungslos und verblüfft zu Bett gingen. Über Trumps Wahl wurde schon sehr viel geschrieben, und das geht sicher noch weiter. Für viele kam dieses Resultat komplett unerwartet. Sogar undenkbar. Bei Enigma sahen wir es kommen. Viele andere jedoch nicht. Wie können wir also einen so grossen toten Winkel erklären? Welche Veränderungen wird Trumps Wahl zur Folge haben? Welche Welt haben wir am 9. November 2016 betreten?

Die einzige Gewissheit in dieser neuen Welt ist die, dass die alten Regeln nicht mehr länger gelten. Vor Trump benötigte ein Kandidat die Unterstützung seiner Partei, um eine Chance auf den Sieg zu haben. Vor Trump mussten Reden die Öffentlichkeit weder polarisieren noch spalten. Vor Trump waren Umfragen heilig und Lead Kampagnen waren Agenden.

Mit Trump funktionieren alle diese Gesetze plötzlich nicht mehr. Ist das jedoch wirklich sein Verdienst? Wahrscheinlich nicht. Er hat wohl eher erfolgreich einige momentane Veränderungen in der Welt erkannt und sie zu seinem Vorteil genutzt. Jetzt müssen wir diese neuen Tatsachen verstehen, uns daran gewöhnen und neue Chancen erkennen.

Hinterfragen wir die Umfragen

https://twitter.com/MattGertz/status/790189710949965824

Kurz nach der zweiten Debatte waren sich die US Medien einig. In den Umfragen hatte Hillary mit 83% den Sieg auf sicher. Und niemand zweifelte an deren Verlässlichkeit. Seit diesem Zeitpunkt hat sich einiges ereignet. Von neuen Untersuchungen im Zusammenhang mit Hillarys E-Mails bis zu Vermutungen über die Existenz eines Servers, der Trump direkt mit Putin verbindet. Aber können solche Ereignisse wirklich eine derartige Kehrtwende verursachen? Oder sollten wir Umfragen von vornherein in Frage stellen?

https://twitter.com/FiveThirtyEight/status/796524532295204864

Was sagte der Brexit letzten Frühling und diese Wahl über Umfragen aus? Sind sie nur eine schlechte Widerspiegelung der Realität, was einfach ein Problem der Methode wäre? Oder sind sie gänzlich ungeeignet, die Zukunft vorauszusagen? Was bedeuten würde, dass die Medien andere Mittel finden müssten.

https://twitter.com/FCharlet/status/796244561299439616

Hinterfragen wir die Medien

Während der ganzen Kampagne habe wir überall gehört und gelesen, dass Trumps’ Ideen beleidigend, voreingenommen und übertrieben seien. Eigentlich haben ihn die Medien nie ernst genommen. Die Medien vermittelten den Eindruck, nicht daran zu glauben, dass die Argumente des Republikaners einige Amerikaner überzeugen können. Wie erklärt sich das? Man kommt nicht darum herum, das als Verzerrung zu sehen, die durch eine herablassende Haltung verursacht wurde.

Im Kern ist es die Aufgabe eines Journalisten, Meinungen zu dokumentieren, Quellen zu überprüfen und Aussagen weiterzuleiten. Man hat jedoch das Gefühl, dass diese Aufgaben von den Medien nicht wirklich professionell erledigt wurden. Sie wurden von den Umfragen geblendet und haben sich von der Realität ihrer Mitbürger entfernt. Das wiederum erzürnte ein bestimmter Teil der Bevölkerung, der de facto von der politischen Debatte ausgeschlossen wurde.

https://twitter.com/Pinboard/status/796255836259512320

Seit einigen Jahren werden wir Zeugen einer abnehmenden Qualität im Journalismus. Wir wissen, dass das mit den finanziellen Problemen der Medienbranche zusammenhängt. Wir wissen auch, dass die meisten Journalisten nicht die Mittel dazu haben, ihren Job richtig zu machen. Wird das unerwartete Resultat dieser Wahl etwas daran ändern, wie die Öffentlichkeit die Medien sieht? Und wird es sie dazu bringen, für qualitativ hochwertige Information etwas mehr zu zahlen?

Hinterfragen wir die sozialen Medien

Sind es jedoch nur die Medien? Nicht wirklich, denn Journalisten leiden auch unter einem Phänomen, dass die ganz Gesellschaft beeinflusst, die Filterblase. Dieses Konzept bezieht sich auf den Vorgang, bei dem ein Benutzer Information bezieht, welche auf ihn angepasst ist.

Indem sie die vielen im Internet gesammelten Daten verwenden, wählen Algorithmen im Stillen aus, welche Inhalte die User zu sehen bekommen. Sie entfernen zunehmend alles, bei dem es wahrscheinlich ist, dass es dem User missfallen könnte. So kreieren sie einen Zustand der Isolation, bei dem jeder User auf eine andere Version des Internets zugreift, eine einzigartige und optimierte Version. Diese Version ist jedoch geglättet und von allen Widersprüchen befreit, die täglich an die Vielfalt einer Gesellschaft erinnern und eine Debatte lancieren sollten.

„If you liked and shared content supporting Britain remaining in Europe during the lead-up to the election, that’s what Facebook’s algorithm would serve you whenever you visited the social network.

It’s called a filter bubble as it lulls you into a false sense that the world is aligned with your point of view.“

Stephen Waddington

Wir haben das schon beim Brexit gesehen. Danach erschraken die Briten über das Ausmass dieses Phänomens. Erst kurz nach der Abstimmung erkannten die Anhänger von Bremain die Stärke der anderen Seite. Auf den sozialen Medien entsprachen alle Informationen, die sie sahen, ihrer Meinung. Tatsächlich lebten beide Seiten zusammen ohne sich jemals gegenüberzustehen. Das Gleiche ist in den Vereinigten Staaten passiert.

https://twitter.com/Sam4nd/status/796209143304450048

Hinterfragen wir die politische Debatte

Können Sie drei Punkte auf dem politischen Programm von Hillary Clinton oder Donald Trump aufzählen? Das wäre doch sehr überraschend. Während der ganzen Kampagne blieben Ideen und Argumente stets im Hintergrund. Verdrängt von den Scheinwerfern, die auf die Persönlichkeit, die Werte, Fehler und die Skandale beider Kandidaten gerichtet waren.

Als Konsequenz davon wurde der Wahlkampf zu einem Beliebtheitswettbewerb. Und in diesem Spiel war Trump sehr gut. Während der Clinton Clan Millionen von Dollar in die Werbung steckte, teilte der Republikaner einige Schläge unter die Gürtellinie aus und benutzte Mittel, die von Memes inspiriert waren. Sein Vorgehen beweist ein grosses Verständnis des Webs. Das erhielt schnell die Unterstützung einer Armee von Trollen. Zwietracht säende Menschen, die als Freelancer des Hasses und der Ablehnung auf online Portalen agieren und Meister in Beschimpfungen, Angriffen, Schmähungen und Drohungen sind.

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Kann dies das Endresultat herbeigeführt haben? Während der Kampagne versuchte Hillary Clinton zu rationalisieren und zu erklären. Auf der anderen Seite verliess sich Donald Trump auf einfache Elemente und hämmerte sie ein. Wir erinnern uns alle an die Spitznamen, die er seinen Kontrahenten gab. Unehrliche Hillary, Low-energy Jeb, Lügender Ted. Es fielen auch Killersätze während Aufeinandertreffen im Fernsehen.

https://twitter.com/TrueEO/status/781284452244807685

Hat es noch Platz für eine traditionelle politische Debatte? Oder werden wir in den kommenden Jahren Zeuge eines Triumphes der Reden im Twitter Format?

Hinterfragen wir die Strategie

Neben den Nachrichten, den Medien und der Persönlichkeit der Kandidaten gibt es eine andere Realität, die wir bei Enigma untersuchen. Vergleichen wir die Wahlkampfteams. In der Tat ist Trumps Team deutlich kleiner als das der Demokraten. Das Gleiche gilt auch für die Finanzierung.

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Trump hat ein sehr innovatives Modell, das sich “lean” nennt, übernommen. Von Startups inspiriert, beinhaltet es ein sehr kleines Team und eine clevere Verwendung der Medien. Die Kampagne selbst ist als Plattform konzipiert und wird in einem offenen und partizipativen Modell als Aufstand vorangetrieben. Diese Strategie, gestützt von einem klugen und agilen iterativen Ansatz, befeuerte alle Kritiker des politischen Establishments in den USA und weit darüber hinaus. Alle diese Merkmale finden sich auch in der Strategie des IS.

Hallo neue Welt!

Neue Welt, neues Leseraster. Vergessen Sie die Sicherheiten von gestern. Vergessen Sie sogar die Sicherheiten, die überhaupt jemals existiert haben. Heute ist Erfolg auf drei Elementen aufgebaut.

In einer Welt, die sich sehr schnell verändert, muss man eine grosse strategische Agilität bewahren, damit man sich sofort an neue Rahmenbedingungen anpassen kann.

Versuchen Sie nicht, Messaging unter allen Umständen zu kontrollieren. Verwenden Sie lieber einen Plattform Ansatz. Auf diesem Weg erreichen Sie all jene, die von Ihrer Arbeit inspiriert werden und den Wunsch haben, sich auf ihre eigene Art mit ihren eigenen Argumenten einzubringen.

Um ein Publikum zu berühren, müssen Sie seine unbewusste, symbolische Ebene treffen, die der rationalen entgegengesetzt ist. Um sich von den 5000 anderen Nachrichten, die das Gehirn täglich erhält, abzuheben, muss ihre Story stark und klar sein. Ohne einen logischen Grund zu benötigen, muss sie sofort Bilder erzeugen, die die tiefsten Überzeugungen Ihres Publikums ansprechen.

Dieser Artikel wurde von Olivier Kennedy
am 11. November, 2016
in #Sonstiges veröffentlicht
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